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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvQ 50/22 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über den Antrag,
im Wege der einstweiligen Anordnung
die Vollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 21. März 2022 - 0206 FH 1/22 - auszusetzen, bis das Madrider Gericht 1. Instanz Nr. 79 über den Berichtigungsantrag der Antragstellerin vom 22. Juni 2022 hinsichtlich der Bescheinigung nach Artikel 42 Absatz 2 Brüssel II a-VO, entschieden hat |
Antragstellerin: (…) |
- Bevollmächtigte:
-
(…) -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Britz
und die Richter Christ,
Radtke
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 1. August 2022 einstimmig beschlossen:
- Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 21. März 2022 - 0206 FH 1/22 - wird bis zum 11. August 2022 ausgesetzt.
G r ü n d e:
Die Antragstellerin begehrt im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsweg die Aussetzung eines Beschlusses zur Vollstreckung eines spanischen Titels zur Herausgabe ihres Kindes an dessen in Spanien lebenden Vater.
I.
Die Antragstellerin ist die Mutter eines am 18. August 2013 in Madrid geborenen Sohnes, wo die nicht miteinander verheirateten Eltern gemeinsam lebten.
1. a) Die Eltern trennten sich im März 2014. Ohne Zustimmung des Vaters reiste die Antragstellerin in demselben Monat über Portugal nach Deutschland aus. Der Vater wusste nichts über den Aufenthaltsort von Mutter und Kind und erteilte zu deren Aufenthalt in Deutschland auch nie sein Einverständnis. Der Sohn hält sich seit März 2014 in Deutschland auf und spricht kein spanisch, sondern lediglich deutsch. Die Antragstellerin hatte im Juli 2014 einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet, zu dem ihr Sohn ein gutes Verhältnis hatte und auch nach Scheidung der Ehe weiterhin hat. Auch zu der Familie des zeitweiligen Ehemanns der Antragstellerin besteht ein gutes Verhältnis.
b) Der Vater leitete in Madrid ein Sorgerechtsverfahren ein. Mit Endurteil des Gerichts in Madrid vom 8. Juni 2015 wurde ihm im Rahmen einer Säumnisentscheidung die Personensorge sowie das Recht zur Bestimmung des Wohnorts für den Sohn aufgrund des unbekannten Aufenthalts der Antragstellerin übertragen.
c) Am 24. Februar 2016 beantragte der Vater bei dem Amtsgericht Bamberg die Anordnung der sofortigen Rückführung des Kindes nach Spanien nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Mit Beschluss vom 24. März 2016 lehnte das Familiengericht den Antrag mit der Begründung ab, dass die (hiesige) Antragstellerin das Kind zwar widerrechtlich von Spanien in das Ausland verbracht habe, seitdem aber eine Frist von mehr als einem Jahr verstrichen und zwischenzeitlich erwiesen sei, dass sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt habe (Art. 12 Abs. 2 HKÜ). Die dagegen eingelegte Beschwerde des Vaters wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2016 zurück. Zur Begründung verwies es ebenfalls auf das Verstreichen der Frist aus Art. 12 Abs. 1 HKÜ sowie darauf, dass das Kind im Sinne von Art. 12 Abs. 2 HKÜ in seiner neuen Umgebung vollständig integriert sei. Letztlich wäre ein Bruch mit dem bestehenden Umfeld unzumutbar und mit dem Kindeswohl nicht vereinbar.
d) Im Dezember 2016 beantragte die Antragstellerin bei dem Familiengericht, ihr die Sorge für ihren Sohn allein zu übertragen. Dies lehnte das Familiengericht mit der Begründung ab, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei nicht gegeben. Die Bedingung nach Art. 10 b) i) der Verordnung (EG) Nr. 201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO) liege nicht vor. Der Vater habe binnen eines Jahres nach seiner Kenntnis vom Aufenthaltsort einen Rückführungsantrag gestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin wies das Oberlandesgericht mit derselben Begründung im April 2018 zurück.
e) Einen von ihr bei dem Gericht in Madrid gestellten Antrag, die dortige Entscheidung vom 8. Juni 2015 abzuändern und ihr die elterliche Sorge für ihren Sohn zu übertragen, lehnte das Gericht mit Beschluss vom 8. Januar 2019 mit Hinweis auf die mittlerweile nicht mehr bestehende internationale Zuständigkeit spanischer Gerichte ab. Nach Art. 61 Brüssel IIa-VO seien die deutschen Gerichte zuständig; das HKÜ gelte nicht mehr, weil der Sohn seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe.
2. Mit einem seit Juli 2019 rechtskräftigen Urteil verurteilte ein spanisches Strafgericht in Madrid die Antragstellerin wegen Kindesentführung und verhängte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und einem Tag gegen sie. Zudem ordnete es den Verlust des Wahlrechts sowie den Verlust des Sorgerechts der Antragstellerin für sieben Jahre an und sprach dem Vater eine Entschädigung von 9.000,- Euro zu.
3. a) Im Juli 2019 beantragte die Antragstellerin erneut bei dem Familiengericht, ihr unter Abänderung des Madrider Urteils die elterliche Sorge für ihren Sohn zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Dem entsprach das Familiengericht mit Beschluss vom 7. Oktober 2020. Zur internationalen Zuständigkeit führte das Familiengericht aus, dass der Anwendungsbereich von Art. 10 Brüssel IIa-VO nicht mehr eröffnet sei. Der Sohn habe seinen Aufenthalt seit März 2014 durchgehend in Deutschland. Zwar liege keiner der Ausnahmetatbestände des Art. 10 b) i)-iv) Brüssel IIa-VO unmittelbar vor. Es bestehe aber Handlungsbedarf, weil bislang sowohl deutsche als auch spanische Gerichte ihre internationale Zuständigkeit abgelehnt hätten. Die dem Vater seit 2015 zustehende Alleinsorge werde von ihm faktisch nicht ausgeübt. In entsprechender Anwendung von Art. 10 b) iv) Brüssel IIa-VO sei der Anwendungsbereich des Art. 10 Brüssel IIa-VO insgesamt ausgeschlossen, jedenfalls ergebe sich eine Zuständigkeit deutscher Gerichte im Blick auf den bestehenden Handlungsbedarf aus Art. 20 Brüssel IIa-VO.
b) Auf die dagegen eingelegte Beschwerde des Vaters hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 15. Oktober 2021 die beanstandete Entscheidung des Familiengerichts aufgehoben und sich für den Antrag der Antragstellerin für international unzuständig erklärt. Art. 10 Brüssel IIa-VO sei maßgeblich, weil die Antragstellerin ihren Sohn widerrechtlich von Spanien nach Deutschland verbracht habe. Danach ergebe sich eine Zuständigkeit deutscher Gerichte nur dann, wenn der Vater nach Art. 10 a) Brüssel IIa-VO der Verbringung des Kindes nach Deutschland zugestimmt habe oder einer der Ausnahmefälle nach Art. 10 b) Brüssel IIa-VO vorläge. Beides sei nicht der Fall. Es bestehe auch keine Veranlassung, Art. 10 Brüssel IIa-VO über seinen Wortlaut hinaus dahingehend auszulegen, dass ab einer bestimmten zeitlichen Grenze sein Anwendungsbereich ausgeschlossen sei und dann die allgemeine, an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfende Zuständigkeit zur Anwendung komme. Einer zeitlich unbegrenzten fortdauernden Zuständigkeit des Herkunftslandes werde bereits durch die Verweisungsmöglichkeit an das sachnähere Gericht nach Art. 15 Brüssel IIa-VO ausreichend begegnet. Auf diese Weise werde dem mit der Verordnung angestrebten Interessenausgleich, einerseits zu verhindern, dass der Entführer eines Kindes aus der rechtswidrigen Handlung einen Vorteil ziehe, andererseits demjenigen Gericht, das dem Kind am nächsten ist, die Entscheidung über die elterliche Verantwortung zu gestatten, angemessen Rechnung getragen. Auch aus Art. 20 Brüssel IIa-VO lasse sich eine Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Hauptsacheentscheidung zur elterlichen Sorge nicht begründen, weil es sich insoweit um keine einstweilige Maßnahme handele. Zudem beziehe sich die Dringlichkeit im Sinne der Vorschrift nicht allein auf die Lage, in der sich das Kind befinde, sondern auch auf die praktische Unmöglichkeit, eine zeitnahe Entscheidung des eigentlich international zuständigen Gerichts herbeizuführen, wofür hier keine Anhaltspunkte vorlägen.
4. a) Im Juni 2020 beantragte der Vater im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Familiengericht Nürnberg in Deutschland, seinen Sohn an ihn herauszugeben. Der Verfahrensbeistand des Kindes bekundete in diesem Verfahren, dass das Kind seinen Vater nicht wirklich kenne, keine Bindung zu ihm habe und keine gemeinsame Sprache mit ihm spreche. Das Kind sei an die Mutter gebunden, habe in Deutschland eine Ersatzfamilie gefunden mit dem Stiefvater und dessen Mutter. Ihn von Deutschland nach Spanien zu transferieren, wäre eine große Anforderung an das Kind, da es die Sprache dort nicht verstehe und spreche, völlig neue Kontaktpersonen hätte und auch die Bindung zu seiner Mutter aufgeben müsste. Das Kind würde überfordert, was zu einer Traumatisierung führen würde. Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 18. September 2020 den Antrag des Vaters auf einstweilige Herausgabe des Kindes zurückgewiesen. Vater und Sohn seien einander fremd. Es widerspräche dem Kindeswohl in eklatanter Weise, das Kind aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen, von seiner bisherigen Hauptbezugsperson, der Mutter, zu trennen und es, ohne dass eine Kontaktanbahnung stattgefunden habe, zu seinem Vater, einem ihm völlig fremden Mann, ins Ausland zu verbringen. Würde man das Kind gegen seinen Willen zwingen, zu seinem Vater nach Spanien umzuziehen, könne dies eine schwere Traumatisierung auslösen und das Kind nachhaltig schädigen.
b) Auch das Oberlandesgericht Nürnberg lehnte mit Beschluss vom 27. November 2020 den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Herausgabe des Kindes ab, weil es an einem dringenden Regelungsbedürfnis fehle. Ein solches Bedürfnis ergebe sich jedenfalls nicht aus der widerrechtlichen Verbringung des Kindes und deren Folgen. Die Folgen des widerrechtlichen Verbringens seien bereits im Verfahren nach dem HKÜ vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht Bamberg erörtert worden. Schon damals habe das Oberlandesgericht festgestellt, dass sich das Kind eingelebt habe. Insbesondere fehle es der beantragten Maßnahme an ihrer „vorübergehenden Natur“. Ziel der beantragten Maßnahme sei vielmehr die Sicherstellung eines dauerhaften Umzugs des Kindes. Das letztlich nach Art. 12 Abs. 2 HKÜ gescheiterte Rückführungsersuchen könne auch nicht über den Umweg einer einstweiligen Anordnung nach Art. 20 Brüssel IIa-VO nachgeholt werden.
5. a) Nachfolgend beantragte der Vater bei einem Gericht in Madrid, den Sohn nach Spanien zurückzuführen und an den Vater herauszugeben. Beides ordnete das angerufene Gericht in Madrid mit Beschluss vom 23. September 2021 an. Der Antragstellerin war die Gelegenheit eingeräumt worden, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Davon hatte sie lediglich mit einem Schriftsatz vom 28. Dezember 2020 Gebrauch gemacht und dabei auf ein vor dem deutschen Familiengericht laufendes Verfahren Bezug genommen. An dem Termin vor dem Gericht in Madrid am 8. September 2021 nahm die Antragstellerin trotz Ladung nicht teil.
Die Anordnung von Rückführung und Herausgabe des Kindes stützte das Madrider Gericht darauf, dass die Antragstellerin den Sohn in Deutschland bei Dritten gelassen habe und im August nach Brasilien gereist sei, weshalb sich das Kind in einer aufenthaltsrechtlich ungeklärten Situation der Schutzlosigkeit befinde, mit einem Elternteil, der es verlassen habe in einer offensichtlich gefährlichen Situation, während der Vater sein Sorgerecht aufgrund des verwerflichen, tadelnswerten und rücksichtslosen Verhaltens der Antragstellerin nicht ausüben könne. Zudem sei die Antragstellerin wegen Kindesentführung strafrechtlich verurteilt worden; es sei auch ein Beschluss erlassen worden, mit dem die Fahndung der Antragstellerin veranlasst und ihre Festnahme und Inhaftierung angeordnet worden sei.
Soweit erkennbar, wurde das Kind vor dem spanischen Gericht nicht angehört und es wurde ihm auch kein Interessenvertreter bestellt. Dass das Kind den Vater praktisch nicht kennt und die Landessprache nicht beherrscht, findet sich in den Erwägungen des spanischen Gerichts nicht wieder.
b) Ein Rechtsmittel gegen diese Sachentscheidung scheint die Antragstellerin ‒ soweit dies ihrem Antrag und den beigefügten Unterlangen entnommen werden kann ‒ nicht eingelegt zu haben.
c) Das Gericht in Madrid stellte über die Entscheidung vom 23. September 2021 am 28. Februar 2022 eine Bescheinigung nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO aus. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2022 hat die Antragstellerin gegenüber dem spanischen Gericht einen auf diese Bescheinigung bezogenen Berichtigungsantrag gestellt, mit dem sie insbesondere die fehlende Berücksichtigung der Interessen des Kindes geltend machte. Über diesen Antrag ist nach dem hier bekannten Stand bisher nicht entschieden worden.
6. In dem dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugrundeliegenden fachgerichtlichen Verfahren begehrt der Vater die Vollstreckung der auf Rückführung und Herausgabe des Sohnes lautenden Entscheidung des Madrider Gerichts. Zu diesem Zweck hat er dem Familiengericht eine Bescheinigung gemäß Art. 42 Brüssel IIa-VO vorgelegt.
a) Mit Beschluss vom 21. März 2022 stellte das Familiengericht fest, die Antragstellerin sei aufgrund des spanischen Titels verpflichtet, ihren Sohn an den Vater herauszugeben. Die Entscheidung des Madrider Gerichts sei in Deutschland unmittelbar vollstreckbar. Es ordnete die unverzügliche Herausgabe des Sohnes an seinen Vater an. Zudem wies es die Antragstellerin darauf hin, dass gegen sie im Falle der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 25.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, angeordnet werden könne. Der Gerichtsvollzieher wurde beauftragt und ermächtigt, den Sohn der Antragstellerin oder jeder anderen Person, bei der er sich befinde, wegzunehmen und diesen dem Vater zu übergeben. Das Familiengericht ermächtigte zugleich den Gerichtsvollzieher zum Betreten der Wohnung der Antragstellerin und zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane. Zur Begründung führte das Familiengericht aus, dass die Herausgabeentscheidung des spanischen Gerichts gemäß Art. 42 Abs. 1, Art. 47 Brüssel IIa-VO wie eine entsprechende Entscheidung eines deutschen Gerichts vollstreckbar sei und die Anordnungen zum Vollzug notwendig seien, um die spätere Vollziehung der spanischen Entscheidung durch unmittelbaren Zwang durchführen zu können.
Auf der Grundlage einer Verfügung vom selben Tag wandte sich das Familiengericht aber über das Europäische Justizielle Netz an das spanische Gericht mit dem Hinweis, dass aus Sicht des Familiengerichts die Voraussetzungen für eine Bescheinigung nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO nicht vorlägen, weil die ablehnende deutsche HKÜ-Entscheidung nach Art. 12 Abs. 2 HKÜ ergangen sei, nicht aber nach Art. 13 HKÜ, was nach Art. 40 Abs. 1 b) in Verbindung mit Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO Voraussetzung für die Anwendung von Art. 42 Brüssel IIa-VO ist. Beim spanischen Gericht wurde angefragt, ob es in Kenntnis dessen, dass die Voraussetzungen für die Erstellung einer Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO nicht vorlagen, diese aufhebe oder anderweitig für wirkungslos erkläre.
b) Gegen den die Herausgabeverpflichtung feststellenden Beschluss legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein und beantragte zudem die Vollstreckung aus dem von ihr beanstandeten Beschluss einzustellen. Letzterem kam das Familiengericht mit Beschluss vom 22. April 2022 nach, half aber der sofortigen Beschwerde nicht ab.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2022 wies das Oberlandesgericht Bamberg die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung des Familiengerichts zurück. Das Rechtsmittel sei nicht begründet. Vollstreckbar seien Entscheidungen über die Rückgabe eines Kindes nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO, für die gemäß Art. 40 Abs. 1b) Brüssel IIa-VO eine Bescheinigung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO vorliege. Das Familiengericht habe zutreffend ausgeführt, dass die Vollstreckung bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung ohne weitere Prüfung seitens des Vollstreckungsgerichts durchzuführen sei. Insbesondere gebe es keine Befugnis des Vollstreckungsgerichts, die Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung zu überprüfen. Dies würde dem Ziel der Bestimmung, eine rasche Vollstreckung der betreffenden Entscheidung zu gewährleisten, zuwiderlaufen. Aus diesem Grund sehe die Verordnung lediglich die Erhebung einer Klage auf Berichtigung der vom Gericht des Ursprungsmitgliedstaates ausgestellten Bescheinigung vor. Insoweit bezog sich das Oberlandesgericht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. Dezember 2010 - C-491/10 PPU - Zarraga. Alle Einwände gegen die Herausgabe des Kindes oder das spanische Erkenntnisverfahren seien vor spanischen Gerichten geltend zu machen. Insoweit folge es auch nicht der Anregung des Familiengerichts, dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorzulegen, ob das Vollstreckungsgericht die Vollstreckung ablehnen könne, beziehungsweise müsse, wenn der Anwendungsbereich des Art. 40 Abs. 1b) Brüssel IIa-VO für die Erstellung einer Bescheinigung gem. Art. 42 Brüssel IIa-VO schon nicht eröffnet war. Dies sei nicht erforderlich, weil der Gerichtshof in der zitierten Entscheidung unmissverständlich und eindeutig geäußert habe, dass dem Vollstreckungsgericht nicht die Befugnis zustehe, die in Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO genannten Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung zu überprüfen.
7. Mit Schriftsätzen vom 22. und 23. Juni 2022 hat die Antragstellerin vor den deutschen Gerichten beantragt, die Vollstreckung der spanischen Rückführungs- und Herausgabeentscheidung solange einzustellen, bis über den Berichtigungsantrag vor den spanischen Gerichten entschieden worden sei.
a) Das Familiengericht Bamberg wies dies mit Beschluss vom 6. Juli 2022 zurück. Die vorläufige Einstellung der Vollstreckung sei nicht statthaft, weil nach der vom Oberlandesgericht zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Vollstreckungsgericht keine inhaltliche Prüfung vorzunehmen sei, solange die Bescheinigung nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO bestehe.
b) Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die sich vor allem darauf stützt, dass bei Verbringung des Kindes nach Spanien eine massive Kindeswohlgefährdung drohe, wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 11. Juli 2022 zurück. Dem Vollstreckungsgericht wie auch dem Beschwerdegericht sei es verwehrt, eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen. Kindeswohlerwägungen seien deshalb im Vollstreckungsverfahren nicht anzustellen. Diese Erwägungen habe das spanische Gericht im Erkenntnisverfahren anzustellen. Angesichts der Besonderheiten des Falles appellierte das Oberlandesgericht allerdings an die Eltern. Die Antragstellerin habe sich ins Unrecht gesetzt, indem sie das Kind eigenmächtig und widerrechtlich nach Deutschland gebracht und in der Folgezeit den Kontakt mit dem Vater verhindert habe. Der Vater, der sich auf seine Rechtsposition zurückziehe, die ihm nach langen Jahren die Möglichkeit gebe, die Entscheidung der Mutter rückgängig zu machen, habe gleichwohl die Verantwortung dafür, wie er seine Rechtsposition umsetze. Der Sohn solle entsprechend der Empfehlung des Jugendamts nach der Herausnahme nicht unmittelbar nach Spanien verbracht werden. Der Vater möge sich vor Augen halten, welche Belastung ein anderes Vorgehen für das Kind darstelle. An die Antragstellerin ergehe der Appell, sich dem Recht nunmehr endlich zu beugen und die Situation für das Kind nicht weiter zu erschweren.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg; die einstweilige Anordnung gilt allerdings zunächst nur bis zum 11. August 2022. Die an einen solchen Antrag zu stellenden Zulässigkeitsanforderungen sind noch gewahrt und die Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG liegen vor.
1. a) Ein zulässiger Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erfordert eine substantiierte Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dabei richten sich die Anforderungen eines isolierten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach den spezifischen Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Anordnung; sie sind mit den Begründungsanforderungen im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht identisch (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. März 2019 - 1 BvQ 90/18 -, Rn. 6). Zu den spezifischen Begründungsanforderungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gehört die Darlegung, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Für den Erfolg eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind die Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde insoweit relevant, als dem Eilrechtsschutzbegehren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht entsprochen werden kann, wenn die Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 140, 225 <226>; stRspr). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann darum lediglich Erfolg haben, wenn das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage der Antragsbegründung wenigstens summarisch verantwortbar beurteilen kann, ob eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Dazu muss die antragstellende Person grundsätzlich auch die für die hinreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) erforderlichen Unterlagen vorlegen. Insbesondere müssen daher mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich der angefochtene Hoheitsakt sowie die zu seinem Verständnis notwendigen Unterlagen in Ablichtung vorgelegt oder zumindest ihrem Inhalt nach so dargestellt werden, dass eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung erfolgen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. März 2019 - 1 BvQ 90/18 -, Rn. 7 m.w.N.; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2022 - 1 BvQ 12/22 -, Rn. 3).
b) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall ‒ auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl. BVerfGE 134, 135 <137 Rn. 3>; stRspr) ‒ einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232 Rn. 87>; stRspr).
2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass die Vollstreckung des familiengerichtlichen Beschlusses vom 21. März 2022 vorläufig ‒ zunächst bis zum 11. August 2022 ‒ ausgesetzt wird, Erfolg. Die Zulässigkeitsanforderungen sind noch gewahrt (a). Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre weder eindeutig unzulässig (b) noch offensichtlich unbegründet (c). Die Folgenabwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung (d).
a) Die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen genügen, um dem Bundesverfassungsgericht die erforderliche Einschätzung der Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde in verfassungsrechtlich verantwortbarer Weise zu ermöglichen. Es sind dem Antrag jedenfalls die mit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde zu beanstandenden familiengerichtlichen Entscheidungen übermittelt worden; auch diejenigen, in denen die Verpflichtung der Antragstellerin, ihren Sohn aufgrund des Beschlusses des Madrider Gerichts vom 23. September 2021 nach Spanien zurückzuführen und an den Vater herauszugeben festgestellt und eine Aussetzung der Vollstreckung abgelehnt wurde. Die spanische Ausgangsentscheidung liegt ebenfalls vor. Zusammen mit den weiteren vorgelegten Unterlagen genügt dies hier den für einen Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG spezifischen Begründungsanforderungen. Für eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wird aber in den Blick zu nehmen sein, dass die Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist die Vorlage sämtlicher Unterlagen erfordert, derer es bedarf, um den Erfolg der Verfassungsbeschwerde beurteilen zu können. Das betrifft auch Vortrag und gegebenenfalls die Vorlage von Unterlagen, die eine Beurteilung der Wahrung der Subsidiarität ermöglichen.
b) Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen vom 21. März 2022 und 2. Juni 2022 wäre auch nicht von vornherein unzulässig.
Angesichts des am 11. Juli 2022 ergangenen Beschlusses des Oberlandesgerichts Bamberg über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, ist die Frist für eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde derzeit noch nicht abgelaufen.
Zwar kann die Antragstellerin, weil ihr das Sorgerecht für ihren Sohn nicht zusteht, für diesen nicht wirksam Verfassungsbeschwerde erheben (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB). Grundsätzlich kann sie jedoch selbst ‒ gestützt auf das ihr nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zustehende Elternrecht ‒ im eigenen Namen Verfassungsbeschwerde dagegen erheben, dass die Vollstreckung der Herausgabe- und Rückführungsverpflichtung im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren nicht vorläufig eingestellt wurde. Außerdem könnte eine Verfassungsbeschwerde des Kindes hiergegen zulässig sein. In Betracht kommt, dass für das Kind zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ein Ergänzungspfleger bestellt wird (dazu näher BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 2020 - 1BvR 1395/19 -, Rn. 23 m.w.N.) oder dass dem Kind ein Verfahrensbeistand bestellt wird, der angesichts der besonderen Umstände möglicherweise für das Kind Verfassungsbeschwerde erheben könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2016 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 39; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2018 - 1 BvR 393/18 -, Rn. 4).
c) Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags, die Vollstreckung im hiesigen Verfahren vorläufig einzustellen, wäre auch nicht offensichtlich unbegründet. Es ist nicht auszuschließen, dass sowohl das Familiengericht als auch das Oberlandesgericht Art. 42 Brüssel IIa-VO in einer Weise ausgelegt und angewendet haben, mit der nicht gerechtfertigte Beeinträchtigungen der Grundrechte der Antragstellerin und ihres Sohnes einhergehen.
aa) So befürchtet das Oberlandesgericht ausweislich des an den Vater gerichteten Appells, das Kind nicht unmittelbar nach der Herausnahme nach Spanien zu verbringen, eine erhebliche Belastung des Kindes. Es konnte jedoch aus seiner Sicht die Grundrechte des Kindes insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie das am Kindeswohl ausgerichtete Elterngrundrecht der Antragstellerin aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht berücksichtigen, weil es sich nach Art. 42 Abs. 1 Brüssel IIa-VO an einer Sachentscheidung gehindert sah. Es sei dem Vollstreckungsgericht und dem Beschwerdegericht verwehrt, eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen, so dass Kindeswohlerwägungen im Vollstreckungsverfahren nicht anzustellen seien. Aus denselben Erwägungen hatte bereits das Familiengericht als Vollstreckungsgericht Kindeswohlerwägungen abgelehnt. Beide Gerichte gehen davon aus, dass wenn die Herausgabe des Kindes auf Grundlage einer Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO gefordert wird, Unionsrecht einer inhaltlichen Prüfung durch das Vollstreckungsgericht im Vollstreckungsmitgliedstaat unter allen Umständen zwingend entgegensteht. Das entspricht insoweit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, als dieser allein die Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats für zuständig hält, die Vereinbarkeit der Rückführungsentscheidung mit den Kindesgrundrechten und etwa mit dem in Art. 42 Brüssel IIa-VO statuierten Anhörungserfordernis zu prüfen und eine Überprüfung durch das Vollstreckungsgericht ausschließt (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Zarraga, C-491/10 PPU, EU:C:210:828, Rn. 48, 69, 73 m.w.N.).
bb) Es kann hier dahinstehen, ob die Unionsgrundrechte des Kindes (insbesondere Art. 24 GRCh) in besonderen Fällen eine inhaltliche Prüfung durch das Vollstreckungsgericht gebieten können, wenn sich schwere Grundrechtsverletzungen des Kindes anders nicht abwenden lassen und ob die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts entsprechend ausgelegt werden können. Dahinstehen kann zudem, inwiefern andernfalls in besonders schwerwiegenden Fällen das Grundgesetz einem deutschen Vollstreckungsgericht eine inhaltliche Prüfung gebieten könnte, wenn ansonsten ein dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz gleich zu achtender, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgender Schutz nicht gewährleistet wäre (vgl. BVerfGE 152, 216 <235 f. Rn. 47> - Recht auf Vergessen II).
cc) Denn hier könnte Art. 42 Brüssel IIa-VO einer inhaltlichen Prüfung schon deshalb nicht entgegenstehen, weil die Vorschrift gar nicht anwendbar ist. So hat das Familiengericht in seiner gesonderten Verfügung vom 21. März 2022 zum hiesigen Ausgangsverfahren plausibel dargelegt, dass die Bescheinigung gemäß Art. 42 Brüssel IIa-VO nach dem Wortlaut bereits deshalb nicht hätte erteilt werden dürfen, weil der Anwendungsbereich des dort in Bezug genommenen Art. 40 Abs. 1 b) Brüssel IIa-VO nicht eröffnet sei.
Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Brüssel IIa-VO lautet (auszugsweise):
(1) Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über die Rückgabe des Kindes im Sinne des Artikels 40 Absatz 1 Buchstabe b) , für die eine Bescheinigung nach Absatz 2 im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.
[…]
(2) Der Richter des Ursprungsmitgliedstaats, der die Entscheidung nach Artikel 40 Absatz 1 Buchstabe b) erlassen hat, stellt die Bescheinigung nach Absatz 1 nur aus, wenn
a) das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrads unangebracht erschien,
b) die Parteien die Gelegenheit hatten, gehört zu werden, und
c) das Gericht beim Erlass seiner Entscheidung die Gründe und Beweismittel berücksichtigt hat, die der nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung zugrunde liegen.
[…]
Art. 40 Satz 1 Brüssel IIa-VO lautet:
(1) Dieser Abschnitt gilt für
a) das Umgangsrecht und
b) die Rückgabe eines Kindes infolge einer die Rückgabe des Kindes anordnenden Entscheidung gemäß Artikel 11 Absatz 8 .
(Hervorhebungen jeweils hier)
Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO lautet:
[…]
(8) Ungeachtet einer nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes verweigert wird, ist eine spätere Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird und die von einem nach dieser Verordnung zuständigen Gericht erlassen wird, im Einklang mit Kapitel III Abschnitt 4 vollstreckbar, um die Rückgabe des Kindes sicherzustellen.
Art. 13 HKÜ lautet:
(1) Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,
a) daß die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder
b) daß die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.
(2) Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn festgestellt wird, daß sich das Kind der Rückgabe widersetzt und daß es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.
(3) Bei Würdigung der in diesem Artikel genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erteilt worden sind.
Nach Art. 40 Abs. 1 b) Brüssel IIa-VO kann eine Bescheinigung im Sinne von Art. 42 Brüssel IIa-VO nur für eine die Rückgabe des Kindes nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO anordnende Entscheidung erteilt werden (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 11. Juli 2008, Rinau, C-195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 69 ff.). Eine Entscheidung im Sinne von Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO läge, wie das Vollstreckungsgericht zutreffend ausführt, nur dann vor, wenn sich die zuvor ergangene, die Rückführung ablehnende, deutsche Entscheidung auf Art. 13 HKÜ gestützt hätte (so auch Öster. OGH, Beschluss vom 20. März 2013 - 6 Ob 39/13y -, Ziffer 5.6; Heiderhoff, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, Brüssel IIa-VO Art. 42 Rn. 4; Gottwald, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2019, Brüssel IIa-VO Art. 42 Rn. 3; Kindl/Meller-Hannich, Zwangsvollstreckung, Brüssel IIa-VO Art. 42 Rn. 2). Das Vollstreckungsgericht legt aber dar, dass hier das Oberlandesgericht die bestätigende Beschwerdeentscheidung vom 27. Juni 2016 (Az. 2 UF 91/16) über die Ablehnung einer Rückführungsentscheidung durch das Familiengericht vom 24. März 2016 (Az. 0206 F 253/16) allein auf Art. 12 Abs. 2 HKÜ gestützt habe: Das Kind habe sich zum Zeitpunkt des Antrags auf Rückführung durch den Vater schon länger als ein Jahr in Deutschland befunden und sei laut Überzeugung des Senats in Deutschland eingelebt. Das spanische Gericht konnte sich bei seiner Entscheidung über die sofortige Rückgabe des Kindes vom 23. September 2021 also nicht auf Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO stützen, weil das deutsche Gericht nicht nach Art. 13 HKÜ entschieden hatte. Mithin war nach Art. 40 Abs. 1 b) Brüssel IIa-VO eine Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO nicht möglich. Art. 40 Brüssel IIa-VO greift im Übrigen auch dann nicht ein, wenn das Gericht, das über die Herausgabe entscheidet, sich irrtümlich auf Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO stützt (vgl. Heiderhoff, in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, Brüssel IIa-VO Art. 42 Rn. 4; siehe auch Öster. OGH, Beschluss vom 20. März 2013 - 6 Ob 39/13y -, Ziffer 5.6). Das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats konnte also mangels Entscheidung nach Art. 13 HKÜ eine Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO ungeachtet inhaltlicher Fragen schon deshalb in keinem Fall ausstellen, weil der Anwendungsbereich gar nicht erst eröffnet war. Liegt jedoch kein Fall des Art. 42 Brüssel IIa-VO vor, ist das deutsche Vollstreckungsgericht an und für sich nicht pauschal an einer inhaltlichen Prüfung gehindert. Ansonsten zulässige inhaltliche Prüfungen seitens des Vollstreckungsgerichts auszuschalten, ist gerade Sinn des Art. 42 Brüssel IIa-VO. Kommt dieser nicht zur Anwendung, kann nach allgemeinen Regeln inhaltlich geprüft werden und können Grundrechte zur Geltung gebracht werden.
Das Familiengericht und das Oberlandesgericht nehmen aber offenbar an, dass dem Vollstreckungsgericht bei Vorlage einer Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO nicht einmal die Prüfung möglich ist, ob der Anwendungsbereich für den Prüfungsausschluss nach Art. 40 Abs. 1 b) Brüssel IIa-VO überhaupt eröffnet ist oder dies schon mangels Entscheidung nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO nicht der Fall ist. Ob die Annahme eines so weitreichenden Prüfungsausschlusses zutrifft, ist auch im Lichte der Unionsgrundrechte zu überprüfen. Gegen die Annahme, auch die Anwendbarkeit von Art. 42 Brüssel IIa-VO könne vom Vollstreckungsgericht nicht geprüft werden, spricht, dass dann dem Schutz des Kindes dienende Vollstreckungshindernisse außer Betracht blieben, obwohl die Voraussetzung des Prüfungsausschlusses ‒ nämlich eine Entscheidung nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO – gar nicht vorliegt. Nach vorläufiger Einschätzung im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren setzt sich eine hierauf begrenzte Prüfungsmöglichkeit des Vollstreckungsgerichts auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Denn es geht nicht darum, entgegen ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs doch zu überprüfen, ob die Rückführungsvoraussetzungen oder die Voraussetzungen nach Art 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO für die Erteilung der dort genannten Bescheinigung vorliegen. Geprüft würde vielmehr allein, ob die Anwendbarkeit von Art. 42 Brüssel IIa-VO überhaupt gegeben ist.
dd) Gelangt vor diesem Hintergrund eine an den Grundrechten des Kindes (insbesondere Art. 24 GRCh) geleitete Auslegung zu dem Ergebnis, dass das Vollstreckungsgericht feststellen kann, dass Art. 42 Brüssel IIa-VO mangels Entscheidung nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO von vornherein unanwendbar ist, könnte hier möglicherweise berücksichtigt werden, inwieweit durch die Erzwingung der Herausgabe des Kindes Grundrechte beeinträchtigt werden. Dann ist nicht auszuschließen, dass die dies außer Acht lassenden Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts Grundrechte verletzen und eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde Erfolg hat.
d) Angesichts des offenen Ausgangs einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe.
aa) Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, würde das Kind an den Vater herausgegeben, der es sogleich nach Spanien mitnehmen dürfte. Das im Jahr 2013 geborene Kind hat seit 2014 in Deutschland gelebt, hat hier seine Mutter, die Familie seines Stiefvaters und Freunde, und es geht hier zur Schule. In Spanien wird sich das bald schon neunjährige Kind vorläufig kaum verständigen können, weil es kein Spanisch spricht. Dies wird anfangs nicht nur den Schulbesuch erschweren, sondern auch die Erschließung eines sozialen Umfelds. Auch mit seinem Vater, den es praktisch nicht kennt, wird es sich vorläufig kaum verständigen können. Der Vater spricht kein Deutsch. Auch ein jüngerer Sohn des Vaters, der wohl ebenfalls bei diesem in Spanien lebt, spricht soweit erkennbar kein Deutsch. Das Kind muss also sein ihm seit vielen Jahren vertrautes Umfeld verlassen und allein in ein Land ziehen, dessen Sprache es nicht spricht und wo es keine ihm vertrauten Menschen erwarten. Die Mutter könnte ihn schon deshalb nicht begleiten, weil ihr in Spanien die Vollstreckung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Kindesentziehung droht.
Das Oberlandesgericht hat in einer Rückführung nach Spanien eine so erhebliche Belastung des Kindes gesehen, dass es im gerichtlichen Vollstreckungsverfahren zu dem ungewöhnlichen Schritt gegriffen hat, einen Appell an den Vater zu richten, das Kind nach der Herausnahme nicht unmittelbar nach Spanien zu verbringen. Der Appell ist jedoch rechtlich unverbindlich. Dass der Vater dem folgte und wie er dies etwa angesichts seiner Betreuungsaufgaben gegenüber dem weiteren bei ihm lebenden Sohn leisten sollte, ist nicht ersichtlich. Auch das Vollstreckungsgericht hatte offensichtlich erhebliche Bedenken gegen die Vollstreckung des Rückgabeanspruchs. Denn es hat, was ebenfalls ungewöhnlich sein dürfte, über Verbindungsrichter des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen beziehungsweise des Internationalen Haager Richternetzwerks bei dem spanischen Gericht anfragen lassen, ob dieses in Kenntnis dessen, dass die Voraussetzungen für die Erstellung einer Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO nicht vorlagen, diese aufhebt oder anderweitig für wirkungslos erklärt. Die mit der sozialpädagogischen Familienhilfe betraute Mitarbeiterin der Diakonie Bayreuth hat es in ihrem Bericht vom 25. Februar 2022 als unvorstellbar bezeichnet, dass das Kind von jetzt auf gleich zu seinem Vater nach Spanien ziehe. Bereits im Jahr 2016 hatten die deutschen Gerichte eine Rückführung abgelehnt, weil die Jahresfrist nach Art. 12 Abs. 2 HKÜ verstrichen sei und sich das Kind in Deutschland eingelebt habe. In der Folgezeit ist es zu keiner Intensivierung der Kontakte zum Vater gekommen. Auch im Jahr 2020 lehnten die deutschen Gerichte eine Herausgabe des Kindes an den Vater im Wege einstweiliger Anordnung unter anderem deshalb ab, weil der dann folgende Umzug nach Spanien eine schwere Traumatisierung auslösen und das Kind nachhaltig schädigen könne. Es widerspreche dem Kindeswohl in eklatanter Weise, das Kind aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen, von seiner bisherigen Hauptbezugsperson, der Mutter, zu trennen und es, ohne dass eine Kontaktanbahnung stattgefunden hätte, zu seinem Vater, einem ihm völlig fremden Mann, ins Ausland zu verbringen.
Das spanische Gericht hat das Kind zu keinem Zeitpunkt angehört, hat also auch die Entscheidung vom 23. September 2021 über die Rückführung des Kindes nach Spanien getroffen, ohne das Kind jemals gesehen oder gesprochen zu haben. Daher erscheint zweifelhaft, dass es die Belastung des Kindes angemessen erfassen konnte. Zwar mag es der Antragstellerin zuzurechnen sein, dass es nicht zu einer Anhörung des Kindes gekommen ist. Auch hat sie kein Rechtsmittel gegen die Rückführungsentscheidung des spanischen Gerichts eingelegt. Allerdings präkludiert dies für die hier vorzunehmende Folgenabwägung nicht den Gesichtspunkt der erheblichen Belastung, die die Rückführung für das Kind bedeuten würde. Wenn die Antragstellerin die Interessen des Kindes hier nicht hinreichend wahrgenommen hat und wegen der ihr in Spanien drohenden Freiheitsstrafe möglicherweise auch nicht umfassend wahrnehmen konnte, hätte dies Anlass geben können, dem Kind insoweit staatlicherseits Unterstützung für die gerichtlichen Verfahren zukommen zu lassen – notfalls auch gegen den Willen der Antragstellerin.
bb) Wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe, würde das Kind zunächst bis zum 11. August 2022 (bei Erhebung einer zulässigen Verfassungsbeschwerde möglicherweise bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens) weiterhin nicht zu seinem Vater nach Spanien zurückgeführt, von wo es vor über acht Jahren durch die Antragstellerin nach Deutschland verbracht wurde. Das dem Vater widerfahrene Unrecht vertiefte sich in dem Maße, in dem sich die Rückführung verzögerte. Die Nachteile des Kindes hielten sich hingegen in Grenzen, gerade weil es sich seit vielen Jahren in Deutschland eingelebt hat und die Rückführung nach Spanien eine erhebliche Belastung darstellte.
cc) Stellt man die Nachteile einander gegenüber, überwiegen die Nachteile, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte. Dies folgt vor allem aus der nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls, die bei einer gegebenenfalls lediglich zeitweiligen Rückführung des Sohnes der Antragstellerin nach Spanien drohte.
dd) Die einstweilige Anordnung war zunächst bis zum Ablauf der Frist aus § 93 Abs. 1 BVerfGG zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gegen die beanstandeten gerichtlichen Entscheidungen zu befristen. Sollte eine solche rechtzeitig wirksam und zulässig erhoben werden, kann die Vollstreckung der Entscheidung des Familiengerichts vom 21. März 2022 längstens bis zur Entscheidung des Gerichts der Ersten Instanz Nr. 79 von Madrid über den Berichtigungsantrag der Antragstellerin vom 22. Juni 2022 hinsichtlich der Bescheinigung nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO ausgesetzt werden.
3. Nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wurde wegen der besonderen Dringlichkeit, die sich aus der jederzeit möglichen Vollstreckung der Herausgabepflicht und dem bereits unternommenen Vollstreckungsversuch ergibt, darauf verzichtet, dem Vater als Beteiligtem des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu geben (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. April 2022 - 2 BvR 447/22 -, Rn. 10).
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Britz | Christ | Radtke | |||||||||