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OLG Karlsruhe Beschluß vom 21.4.2017, Ausl 301 AR 35/17;
Ausl301AR35/17
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen: Auslieferung
eines in der Bundesrepublik Deutschland Inhaftierten bei
Abwesenheitsverurteilung in Rumänien; Zuschaltung zur Gerichtsverhandlung
mittels Videokonferenz
Leitsätze
1. Eine Zuschaltung mittels Videokonferenz stellt keine persönliche
Anwesenheit in einer Gerichtsverhandlung dar.
2. Eine
Auslieferung ist unzulässig, wenn der Verfolgte zwar zur Hauptverhandlung
persönlich geladen wurde, er jedoch wegen einer Inhaftierung an dieser
nicht teilnehmen kann.
Tenor
1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien aufgrund des
Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts L./Rumänien vom 10. Januar 2017
wird für nicht zulässig
erklärt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
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Gegen den sich in bis zum 23.08.2019 in der JVA
G./Deutschland in Strafhaft befindlichen Verfolgten besteht
ein Europäischer Haftbefehl des Amtsgerichts L./Rumänien vom
17.01.2017, aus welchem sich ergibt, dass der Verfolgte durch
das seit 19.12.2017 rechtskräftige Urteil dieses Gerichts vom
22.11.2016 zu einer noch vollständig zur Verbüßung
ausstehenden Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten
wegen folgenden Vorwurfs verurteilt
wurde: | |
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Mit Beschluss vom 08.02.2017 hat der Senat den Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines
Auslieferungshaftbefehls zurückgewiesen, weil das Urteil des
Amtsgerichts L./Rumänien vom 22.11.2016 in Abwesenheit des
Verfolgten ergangen ist und dieser entgegen § 83 Abs. 2 Nr.1
IRG nicht nur nicht wirksam geladen worden war, sondern auch
zur Hauptverhandlung nicht erscheinen konnte, weil er sich
seit 17.04.2014 in der Justizvollzugsanstalt G./Deutschland in
Strafhaft befindet. | |
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Am 23.02.2017 hat das Amtsgericht L./Rumänien daraufhin
mitgeteilt, der Verfolgte sei zwar nicht in der
Hauptverhandlung persönlich anwesend gewesen, jedoch dieser
mittels Videokonferenz zugeschaltet gewesen. Auch sei dem
Verfolgten das Strafurteil vom 22.11.2016 in der
Justizvollzuganstalt G./Deutschland persönlich zugestellt
worden und er habe trotz einer Belehrung über die Frist von
zehn Tagen zur Einlegung eines Rechtsmittels hierauf
verzichtet. Insoweit sei das Recht auf ein faires Verfahren
nach Art. 6 MRK gewährleistet gewesen, weshalb an dem
Auslieferungsbegehren festgehalten
werde. | |
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Am 15.03.2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, und hat
am 21.04.2017 ergänzend mitgeteilt, das nicht beabsichtigt
sei, Bewilligungshindernisse geltend zu
machen. |
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Die Auslieferung des Verfolgten ist nicht zulässig. Nach §
83 Abs.1 Nr. 1 IRG ist bei Ersuchen zum Zweck der
Strafvollstreckung hiervon grundsätzlich auszugehen, wenn die
verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden
Verhandlung nicht persönlich erschienen ist. Eine Zuschaltung
zur Gerichtsverhandlung mittels Videokonferenz stellt in
diesem Sinne schon nach dem Wortlaut keine persönliche
Anwesenheit in der Gerichtsverhandlung dar, auch wenn - was
aus den vorgelegten Unterlagen nicht zweifelsfrei ersichtlich
ist - die Zuschaltung während der gesamten Verhandlung erfolgt
sein sollte und nicht nur - was hier näher liegt - lediglich
die Vernehmung des Verfolgten zum Tatvorwurf umfasst
hat. | |
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Auch ein Ausnahmefall liegt nicht vor. Selbst wenn die
rumänischen Justizbehörden den Verfolgten zur Hauptverhandlung
am 21./22.11.2016 in der JVA G./Deutschland persönlich geladen
hätten, wäre dies entgegen dem Wortlaut des § 83 Abs. 2 Nr. 1
a) aa) IRG nicht wirksam, weil die Ladung einer Person,
welcher sich in einem anderen Staat in Haft befindet und
deshalb an der Hauptverhandlung gar nicht teilnehmen kann, zu
den in Art, 6 des Vertrages über die Europäische Union
enthaltenen Grundsätzen eines fairen Verfahrens in Widerspruch
stünde und deshalb gegen § 73 Satz 2 IRG verstößt (ähnlich OLG
Köln StraFo 2015, 27 für ein
Überstellungsverfahren). | |
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Dass der Verfolgte in Kenntnis der anberaumten Verhandlung
einen Verteidiger bevollmächtigt hat, der ihn in der
Verhandlung verteidigt, und er durch diesen in der Verhandlung
auch tatsächlich verteidigt wurde (§ 83 Abs. 2 Nr. 3 IRG),
ergibt sich aus den vorgelegten Auslieferungsunterlagen nicht,
vielmehr kann diesen allenfalls die Bestellung eines
Pflichtverteidigers entnommen
werden. | |
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Auch ist nicht belegt, dass der Verfolgte ausdrücklich auf
die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hätte (§ 83b Abs.
3 Satz 1 Nr.1 IRG), vielmehr lässt sich dem Schreiben des
Amtsgerichts L./Rumänien vom 23.02.2017 nur entnehmen, dass
der Verfolgte nach Zustellung des dortigen Urteils vom
22.11.2016 dieses nicht innerhalb einer zehntätigen
Rechtsmittefrist angefochten hat. In einem solchen Fall wäre
eine Auslieferung aber auch nur dann zulässig (§ 83 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 IRG), wenn der Verfolgte zuvor ausdrücklich über
sein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein
Berufungsverfahren, an dem er teilnehmen kann und bei dem der
Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft
und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt
worden wäre (§ 83 Abs. 3 Satz 2 IRG). Vorliegend wird aber
weder der Inhalt der vom Amtsgerichts L/Rumänien dem
Verfolgten übermittelten Rechtsmittelbelehrung mitgeteilt noch
wird deutlich, in welcher Form die Teilnahme des Verfolgten an
dieser Berufungsverhandlung gesichert sein sollte, wenn er
sich doch in der Bundesrepublik Deutschland noch bis zum
23.08.2019 in Strafhaft befindet. |
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 IRG i.V.m. § 467
Abs.1 StPO. | |
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